Nach dem spannenden Tag bei den Schilfinselbewohnern geht es auf direktem Weg nach Cusco. Unterwegs fahren wir durch ein Dorf, in dem die Frauen ganz spezielle Kopfbedeckungen tragen: der Hut ist eine Art Dreispitz mit bunten Bommeln. Erinnert irgendwie an den Schwarzwald. Überhaupt sind die Frauen in diesem Land ein Hingucker: Jedes Dorf hat seine eigene Kopfbedeckung und die kann eben mal sehr bunt und auffallend sein, dann wieder schlicht wie die bekannte «Melone», die viel zu klein auf dem Kopf balanciert wird. Die bauschigen Röcke und Unterröcke verstecken meist die zierliche Figur der eher kleinen indigenen Frauen, schöne Blusen ergänzen das Outfit. Mit diesen Trachten wird der Alltag gelebt, sie sind nicht nur für Festtage da! Und dann kommt ganz oft ein Tragetuch hinzu, in dem alles Platz hat von Babies über Kleinkinder (die man im Tuch drin nie weinen hört) bis zum Einkauf oder mal ein kleines Tier. Alles wird in diesen Tüchern transportiert, auch schon mal von Männern. Unser Weg ist auch eine Reise durch das bäuerliche Leben im Altiplano. Selten sehen wir schwere Maschinen, vieles ist harte Knochenarbeit. Die Häuser bestehen oft aus Lehmziegeln, die entweder von der Sonne oder über einem Feuer getrocknet werden. Natürlich sind diese Mauern nicht für die Ewigkeit gemacht, aber sie erfüllen viele Jahre ihren Zweck. Und die Landschaft ist einmal mehr einfach unwirklich mit schneebedeckten Gipfeln.
Kurz vor Cusco besuchen wir eine weitere Ausgrabungsstätte: Pikillacta, die «Stadt der Flöhe» oder «Flohstadt» (Kleinstadt) in Quechua. Wie auch Tiwanaku wird diese Stadt der Wari-Kultur zugeordnet und wohl gegen Ende des 6. Jahrhunderts erbaut. Die Wari verfolgten beim Städtebau ihr Konzept der geometrischen Anordnung, nach dem Gebäude, Höfe und Plätze in rechteckigen Formen angelegt sind. Insgesamt umfasst Pikillacta 700 Gebäude, 200 Felder und rund 500 Lagerhäuser, die auch teilweise Wohnhäuser sein könnten. Die aus Stein und Lehm erbauten Häuser wurden innen mit Gips bedeckt und dann die Wände bemalt. An die 10’000 Menschen sollen hier gelebt haben. Ende des 9. Jahrhunderts wurde die Stadt aus unbekannten Gründen aufgegeben. Ob die Inkas daran schuld waren? Man hat dazu keine gesicherten Erkenntnisse. Aber was man weiss, ist dass die Wari-Kultur grossen Einfluss auf die Inkas hatte, sei es bezüglich Bauweise der Mauerwerke oder der Umverteilung landwirtschaftlicher Produkte.
In Cusco angekommen, entdecken wir zunächst mal auf dem Camping-Platz gleich nochmal zwei Schweizer Wagen mit Appenzeller Nummernschildern! Die «Innerrhoder» haben das Auto da eingestellt für einige Zeit, der «Ausserrhoder» entpuppt sich als junger Mann, mit dessen Vater ich dereinst in die Schule ging. Wer behauptet, die Welt sei ein Dorf, hat nicht übertrieben! Wir wollen ein paar Tage bleiben, bevor wir weiter ins Tal ziehen, um uns noch ein paar Sehenswürdigkeiten zu gönnen. Erstmal aber erkunden wir die Stadt. Cusco ist erbaut worden auf den altehrwürdigen Mauern aus der Inkazeit. Die Spanier nahmen einfach das Fundament und setzten ihre Gebäude darauf. Das sieht man an fast jeder Ecke der Stadt, am eindrücklichsten aber in der Gasse, in deren Seitenmauer der 12-eckige Stein zu sehen ist. 12 Ecken für 12 Monate des Jahres. Diese passgenaue Bauweise soll auch sehr erdbebensicher sein. Können wir gut nachvollziehen, stehen diese Mauern doch seit Jahrtausenden fest und unverrückbar. Noch mehr davon sehen wir in den Ruinen von Saksaywaman. Der Ort hoch über Cuscos Dächern diente als Fort, als Kultstätte und zur astrologischen Beobachtung. Beeindruckend auch hier: die Mauern, deren grösster Einzelblock 9 Meter hoch, 5 Meter breit und 4 Meter dick ist bei einem Gewicht von 200 Tonnen. Man fragt sich zu Recht, wie solche Brocken bewegt und an die passende Stelle gehoben werden konnten, ohne technische Hilfsmittel, wie wir sie kennen. Eine weitere Festungsanlage ist Puka Pukara am anderen Eingangstal nach Cusco. Hier konnten sich Stafettenläufer ausruhen, wenn sie ihre Nachricht überbracht hatten. Und nur wenige Schritte davon entfernt stösst man auf Tambomachay, ein Erholungsort mit der Fassung einer heiligen, warmen Quelle. Cusco hatte also schon zu alten Zeiten seinen Einwohnern und Einwohnerinnen viel zu bieten.
EIGENTLICH…wollten wir nach zwei Tagen aufbrechen zu weiteren Sehenswürdigkeiten in der Region. ABER…Wir geraten zwischen die politischen Fronten und in die ersten ernsthaften Proteste. Es folgt eine Ausgangssperre und wir sitzen fest auf unbestimmte Zeit. Rolf nutzt die Zeit, um Filme zu schneiden. Ich lerne, wie man Pasta macht und backe Brot und räume etwas um und auf im T-Mobil. Menschen aus aller Welt – Backpacker und Pauschaltouristen – sitzen fest und werden von ihren Botschaften ausser landes gebracht. Wir warten mal ab – und siehe da: Nach 5 Tagen erfahren wir, dass wieder alles seinen gewohnten Gang geht. Da wir hören, dass auch die Protest-Blockaden auf der Strasse wieder geräumt seien, wagen wir es und brechen auf Richtung Küste. Um ganz sicher zu gehen, schliessen wir uns mit einer kolumbianischen Familie und unseren Bekannten aus Frankreich zu einem Konvoi zusammen. Leicht angespannt fahren wir an geräumten Strassenblockaden vorbei in zwei Tagen runter nach Nazca an der peruanischen Atlantikküste. Und von da geht es in Etappen weiter auf der Panamerikana nordwärts.
Eher zufällig stolpern wir erstmal über einen wichtigen archäologischen Komplex. Und wer hat’s gefunden? Der Schweizer Fréderic André Engel entdeckte bei Erkundungen der Küstenregion die Strukturen einer grossen Anlage direkt am Meer. Bis heute werden die Forschungen fortgesetzt und die Ergebnisse über das Alter und die Herkunft sind noch nicht wirklich gesichert. Sie stammt wohl aus der Antike, war ein wichtiges Handels- und Kulturzentrum, in welchem auch astronomische Forschungen betrieben wurden. Welches Volk genau diesen Ort für seine Sesshaftigkeit erwählte, ist noch nicht erwiesen. Auf dem Weg nach Ecuador haben wir ja noch die «Ciudad Tschudi» auf dem Plan, die Ausgrabungsstätte der einstigen Hauptstadt Chan Chan des Chimor-Königreichs. In seiner Blütezeit beherbergte die Anlage an die 100’000 Einwohner auf etwa 20 Quadratkilometern. Ein Glarner Naturforscher (Wo sich die Schweizer überall rumtreiben!) war wesentlich an den Ausgrabungen in Chan Chan beteiligt und nach ihm wurde der Palast Nik An zunächst benannt: Johann Jakob von Tschudi. Auch ohne diesen Schweizer Touch würden wir diese Ruine besichtigen wollen – sie ist einfach faszinierend.
Auch eine gewisse Faszination geht von den unendlichen Müllhalden entlang der Panamerikana aus. Quadratkilometer um Quadratkilometer liegt der Abfall der Städte und Dörfer links und rechts der Hauptverkehrsader durch Peru herum. Auch Mittelstreifen sind Ablageorte. Oder eigentlich geschützte archäologisch wertvolle Gebiete. In den Berggebieten haben wir auch viel Mülldeponien gesehen – wild die meisten. Doch was hier vom Winde verweht wird, in Bäumen und Sträuchern hängt, als Teppiche an den Küsten dümpelt und sich als bunte Berge entlang der Strasse türmt, ist wirklich entsetzlich und einmalig bislang. Zivilisation und ihre unschönen Nebenwirkungen – hier wird einem das sehr deutlich vor Augen und Nase geführt! Schade um die eigentlich schöne Wüstenlandschaft.
Aber Ecuador nähert sich und damit auch wieder grünes Bergland!