Brasilien ist bei den meisten Panamerika-Reisenden nicht auf dem Radar. Manche haben noch Horrorgeschichten von Überfällen in den Ohren, manche denken, dass es in Brasilien ausser dem Amazonasgebiet und Rio de Janeiro nicht allzuviel Sehenswertes gibt. Und – Brasilien liegt halt einfach nicht auf der Panamerika-Route, die direkt durch die beiden Teile Amerikas von Süd nach Nord führt! Ich bin froh, dass Rolf schon vor 3 Jahrzehnten Südamerika bereist hat und daher die schönsten Ecken auch Brasiliens kennt. Also fahren wir von Uruguay Richtung Norden, erstmal der Küste entlang.
Gleich nach der Grenze, die wir an einem Sonntag mit der ungeteilten Aufmerksamkeit aller Beamten in Chuy überraschend zügig überqueren (wir sind weit und breit die Einzigen, die rüber wollen!), durchqueren wir eine Lagune und sehen die ersten Capibaras, die friedlich in der Sumpflandschaft grasen. Auch ein Kaiman sonnt sich gemütlich im Grün und viele grosse und kleine Vögel geniessen das reiche Nahrungsangebot in der Lagune. Unser erster Stopp ist am Meer, in Tapes, einem kleinen Ort mit tollem Strand. Der tröstet uns etwas darüber hinweg, dass wir ziemlich frustiert versuchen, unsere Sim-Karten zum Funktionieren zu bringen.
Erst später gelingt uns das mit Hilfe von Eduardo, dem enthusiastischen Besitzer eines kleinen Campingplatzes bei Torres, der nächstgrösseren Stadt an der Küste. Er leiht uns seine Daten, ohne die es keine Registrierungsmöglichkeit gibt. Kein Anbieter konnte uns nur aufgrund unserer Pässe ins System eintragen, wir hätten immer eine brasilianische Steuernummer, die CPF-Nummer gebraucht. Könnte man umständlich beantragen, braucht aber auch dafür eine Adresse in Brasilien…also komplizierter geht’s nicht! Eduardo leiht uns seine Daten und – zack – die bereits gekauften Karten funktionieren. Und wir kriegen endlich ganz viele Datenmengen für extrem wenig Geld! Hurraaa!
Auch der Verkehr in Brasilien ist eher gewöhnungsbedürftig. Erstens werden praktisch alle Güter mit Lastwagen transportiert und die spielen gerade in hügeligen Landschaften gerne das Spiel «Überholst du mich, schnapp ich dich». Aufwärts fahren wir an den kriechenden Lastern vorbei, abwärts geben sie Stoff und überholen uns wieder. Denn – in Brasilien sind die meisten Gesetzesvorgaben für den Strassenverkehr eher unverbindliche Empfehlungen, denn Ge- und Verbote. Geschwindigkeitsbegrenzungen sind über Land bei 90 km/h für Lastwagen und 110 km/h für PWs. Die Brummis überholen uns mit weit über 110 km/h! Abwärts! Und «schneggeln» dann aufwärts wieder vor uns her…
In den Dörfern und Städten sind die Ein- und Ausfahrten manchmal sehr unübersichtlich angelegt, was zu mancher Irrfahrt führt. Auch sind wie öfter mal die Einzigen, die bei Rot tatsächlich anhalten und auf Grün warten. Die Motorradfahrer in der Agglomeration grosser Städte wiederum fahren Zick-Zack zwischen den rollenden Kolonnen, ein mehrfaches Hupen signalisiert, dass wir jetzt dann gleich überholt werden – auf welcher Seite merken wir erst, wenn es soweit ist. Auf dem Land hingegen kann es passieren, dass dich ein lebensmüder Motorradfahrer rechts überholt, obwohl du den Blinker zum Abbiegen in ebendiese Richtung gestellt hast!
Ganz interessant sind auch die vielen «toten Polizisten», die schon etwa einen Kilometer vor jedem Dorf quer über die Strasse liegen und dann in kurzen Abständen die Hauptstrasse verlangsamen. Meist sind sie mit Warntafel und gelben Markierungen gut sichtbar, wenn nicht, dann rumpelt es gewaltig. Nicht signalisiert sind hingegen die Löcher im Asphalt, die Potholes. All diese Herausforderungen meistert Rolf mit bewundernswerter Gelassenheit – meistens. Ich fahre – weil weniger gelassen – eher selten in Brasilien.
Nach den ersten Tagen an der Küste zieht es uns ins Hinterland, der Metropole Sao Paolo entgegen. Da entdecken wir ein paar ganz hübsche Plätze, ein Thermalbad und eine Stadt namens Blumenau, scheints die Hochburg brasilianischer Bierbraukunst und – nach eigenen Angaben – mit der zweitgrössten «Wiesn» gleich nach München. Wir finden die Stadt und vor allem das deutsche Dorf schlicht eine Zeitverschwendung. Aber – das Fahren durch die teils unberührten Wälder ist allein die Reise schon wert! Immer wieder landen wir auf Plätzen, die uns mit so viel Naturerlebnissen beschenken, wie zum Beispiel die ersten Kolibris in unserem Leben! Und die Menschen sind derart freundlich, wir kriegen Maniok und Palmherzen geschenkt, tauschen uns aus mit Brasiliens Campinggemeinde, die noch am Wachsen ist. Das spüren wir auch im Touristenmagnet Paraty, zurück an der Küste.
Apropos Camping: Wer hier mit den Vorstellungen von europäischen Standards anreist, wird hoffnungslos enttäuscht sein. Die Plätze sind von Mini mit Platz für ein paar Zelte plus 3-4 Vans bis zu Mittelgross. Die meisten verfügen über Elektrizität, allerdings standardmässig nur 110 Volt und hat es doch 220 Volt-Steckdosen, liefern sie manchmal doch nur knapp 210 Volt. Wir sind froh um unsere Solarpanels auf dem Dach und nutzen auch mal zusätzlich das mobile Panel. Und natürlich haben wir ein grosses Problem damit, unsere LPG-Gasflasche zu füllen. In ganz Brasilien gilt ein Verbot für das Umfüllen von Gasflaschen, das kaum jemand umgehen will. Gas-Tankstellen gibt es an einem einzigen Ort, Cuiaba. Weil bis dorthin die Pipeline von Bolivien gebaut wurde, bevor die Bolivianer den Preis erhöhen wollten und das Projekt gestoppt wurde. Aber – das ist Erdgas, also für uns unbrauchbar.
Und hier kommt eine tolle Eigenart der brasilianischen Campingplätze zum Tragen: Die meisten verfügen über eine Küche, die alle nutzen dürfen! Vermutlich, weil viele Brasilianer mit dem Zelt anreisen und darum nicht so gut ausgerüstet sind. Für uns ein Segen – wir kochen und backen viel in diesen Küchen, die im Preis immer inbegriffen sind.
Etwas gewöhnungsbedürftig sind zwei Dinge: Es gibt nur warmes Wasser in den Duschen, weil die Duschköpfe mit einem Heizstab versehen sind. Die Hitze reguliert sich über die Wasserzufuhr. Weder Lavabos noch Spüle in der Küche verfügen über einen Heisswasserhahn. Und weil die Leitungsrohre aus Kostengründen eher klein verbaut werden, sollte man kein WC-Papier in die Toilette schmeissen – Verstopfungsgefahr! Also hat es überall Eimer für das benutzte Papier – mal mit, mal ohne Deckel. Und ja, auch der Standard in Sachen Sauberkeit ist öfter nicht vergleichbar mit dem, was wir von daheim gewohnt sind.
Das alles wird aber wettgemacht durch die grosse Freundlichkeit und das echte Interesse, das uns immer wieder entgegengebracht wird. Wir sind oft einfach nur tief berührt über die Menschen, die sich uns so herzlich zuwenden. Manchmal verständigen wir uns nur kurz, weil die Unterhaltung mit Google-Übersetzer geführt werden muss. Manchmal gelingen Gespräche in Englisch, wenn wir auf Brasilianer treffen, die diese Fremdsprache beherrschen. Was selten der Fall ist – in diesem riesigen Land, das die grösste Fläche des südlichen Amerikas bedeckt, besteht auch für Reisefreudige keine Notwendigkeit, eine andere Sprache ausser portugiesisch zu lernen. Sie kommen im eigenen Land ans Meer, in die Berge, zu Thermalquellen, zu Nationalparks, in den Urwald, etc.pp. Wir lernen hier echte Gastfreundschaft kennen, die nicht auf Profit abzielt, sondern nur darauf, sich auszutauschen und so haben wir oft das Gefühl, dass wir Freunde verlassen, wenn wir weiterziehen.
Und weiterziehen wollen wir natürlich – dem Fernziel «Pantanal» entgegen. Doch erst noch besuchen wir Rio de Janeiro, auch wenn das Wetter ein Bad an der Copacabana nicht zulässt. Diese Millionenstadt in den Hügeln am Meer gibt einem keineswegs das Gefühl, in einer Metropole zu sein. Zu sehr sind die Bewohner über all die Täler verteilt und auch die Strände sind so lang, dass man niemandem auf die Füsse tritt. Natürlich – wir sind hier im tiefsten Winter und die Temperaturen sind um die 20 bis 25 Grad, also nicht gerade hochsaisonmässig. An den berühmtesten beiden Spots – der Christusstatue und dem Zuckerhut – konzentrieren sich jedoch die Massen und wir entscheiden uns, zumindest den Zuckerhut nur von unten zu betrachten.
Eigentlich hätten wir schon Lust, uns nach dem für uns eher anstrengenden Bad im Menschenmeer im richtigen Meer zu erholen, wobei wir nicht weit in den Norden fahren möchten. Zu viele Kilometer! Und so verschlägt es uns nach Cabo Frio…wo wir rasch merken, dass dieser Ort an der Küste seinen Namen zurecht hat – Kaltes Kap! Es weht ein fieser, böiger Wind, an Baden ist nicht zu denken und so peilen wir unser nächstes Ziel an – Die Hauptstadt Brasilia im Herzen des Landes!
Brasilia ist erst seit 1960 die Landeshauptstadt. Salvador de Bahia im Norden Brasiliens war ursprünglich 1549 als Hauptstadt von den Portugiesen gegründet worden. Nach etwa 200 Jahren ging die Ehre an Rio de Janeiro, ebenfalls wieder für etwa 200 Jahre, bevor 1891 beschlossen wurde, eine neue Hauptstadt für Brasilien zu bauen, die mehr im Zentrum des immens grossen Landes liegen sollte. Dieses Vorhaben wurde gar in der Verfassung verankert. 1922 fand die Grundsteinlegung statt, aber es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis die Stadt vom Reissbrett in die Realität umgesetzt wurde. Der Grundriss basiert auf einem Kreuz, das in seiner Ausgestaltung dann letztlich doch eher an ein Flugzeug erinnert. Das Stadtzentrum mutet eher steril an, das Leben findet in den Barrios statt. Was jedoch fasziniert, sind die Bauwerke, die allesamt dem Modell der architektonischen Moderne folgen. Rolf kann sich kaum satt sehen an den klaren Formen und dem Zusammenspiel der einzelnen Gebäude, die meist vom brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer entworfen wurden.
Nach zwei Nächten nehmen wir die letzten Etappen Richtung Pantanal unter die Räder. Es sind mehr als tausend Kilometer zu bewältigen. Das machen wir natürlich nicht in einem Rutsch, schliesslich sind wir ja auf einer Genuss-Reise! Und so fahren wir in 3 Etappen und entdecken unterwegs auch noch so einiges, obwohl die Strecke oft eintönig durch Quadratkilometer von Agrarflächen führt – Zuckerrohr, Baumwolle, Mais, Weizen beherrschen die Landschaft und nur ab und zu taucht am Horizont die Silhouette einer Stadt auf, meist von Weitem sichtbar dank der vielen Hochhäuser.
Zum Pantanal gibt’s einen Extrablog mit wenig Text und viel Bildern. Auch die bunten Vögel Südamerikas – natürlich die mit Federn, Schwingen und Schnäbeln – kriegen einen eigenen Blog. Und diese Blogs entstehen in Paraguay, wo wir bei lieben Menschen eingeladen sind, ein paar Tage zu verweilen. Ella, die ich als Kollegin und Freundin bei der Arbeit vor einigen Jahren kennengelernt habe und ihr Mann Klaus, eine Bregenzerin und ein Lindauer, sind vor eineinhalb Jahren in die Nähe von Asuncion ausgewandert und wir geniessen ihre Gastfreundschaft sehr. Bis denn, schaut doch mal noch hier rein – Rolf war auch fleissig für Youtube!