Einen Tag nach Fasnachtsbeginn überschreiten wir die Grenze von Namibia zu Südafrika. Es geht recht zügig, Schnell-Test ist innert 20 Minuten gemacht, die Papiere sind gecheckt und hätten eigentlich weniger Zeit gebraucht, weil dank der Zollunion der südlichen afrikanischen Länder das Carnet de Passage für unseren Ford noch gültig wäre. Nun ist es quasi doppelt gestempelt…was im Grunde besser ist als gar nicht!

Unsere ersten Wochen hier in der Regenbogennation sind geprägt von Hitze im Inland, stürmischem Wind an der Küste und regnerischen Tagen rund um Kapstadt.

Wir besuchen kurz nach der Grenze im Wüstengebiet die Augrabiesfälle. Der höchste Wasserfall stürzt hier über 50 Meter in die Schlucht, die der Fluss Oranje in die Felswüste gegraben hat. Wir würden die Aussicht bedeutend mehr geniessen, wenn uns nicht ständig eine Wolke von kleinen Fliegen umschwirren würde, wobei diese lästigen Viecher ja nicht zufrieden sind mit umschwirren, nein, sie kriechen in Nase, Ohren, Augen und Mund, den ich für einmal schön brav geschlossen halte! Abgesehen davon ist es wirklich schön hier…und heiss. Leider vermiesen die blöden Fliegen mir sogar die Abkühlung im Pool und ich flüchte gern in unsere Kabine, die dank stetem Wind nicht allzu aufgeheizt ist.

Unser Weg führt uns ziemlich zügig nach Kapstadt, weil wir endlich unsere seit Tagen kaputte Klimaanlage repariert haben möchten. Eigentlich – so unsere naiven Gedankengänge – sollte es nicht so schwer sein, für den Ford, der ja hierzulande gefertigt wurde, Ersatzteile zu bekommen. Au contraire! Uns wird gesagt, dass das Ersatzteillager von Ford für 2 Wochen geschlossen wurde wegen einer ausserordentlichen Warenbestandsaufnahme weil gestohlen wurde. Und ab Mitte Dezember wird sowieso alles geschlossen sein wegen der grossen Sommerferien! Hoppla, damit haben wir nun nicht gerechnet. Unsere Reise artet ab jetzt in eine Art tour d’horizon von Werkstatt zu Werkstatt aus. Wir werden immer wieder weiter gewiesen und unsere Stopps sind abhängig davon, ob in der Nähe die Chance auf eine Reparatur besteht. Auf der Reise erleben wir die Vielfalt dieses Landes ein erstes Mal und wir fahren kilometerweit durch Reb- und Ackerbaugebiete.

Abstecher entführen uns auch an wirklich abgelegene Orte wie Hondeklipp Bay, das mitten im Naturschutzgebiet Namaqualand liegt, wo der wilde Atlantik Welle um Welle ans Ufer peitscht und ein ein rauer, kalter Wind bläst. Was für uns eine echte Erholung ist nach den vielen Kilometern durch heisse Halbwüsten und kahle Felsen ohne Aircondition! Auch rund um Kapstadt, wo wir uns tagelang bewegen in der Hoffnung auf eine Offerte für die Reparatur der Klimaanlage, ist es zwar sonnig, aber wegen starkem Wind eher kühl und wir packen unsere «wärmeren» Kleider aus samt Windjacken.

Auf dem Weg zu unserem ersten Stellplatz in der Gegend von Durbanville, einer Vorstadt von Kapstadt, fahren wir kilometerlang durch Townships und ich (Rolf kennt natürlich Favelas aus dem südlichen Amerika) erschrecke ob dem Meer an ärmlichen Wellblechbehausungen, das sich vor meinen Augen erstreckt. Ebenfalls erschreckend sind die Stacheldraht- und Elektrozäune, die Siedlungen und Häuser ausserhalb der Townships schützen sollen. Auch der Campingplatz ist so geschützt, genauso wie das Gemüsefeld, das direkt an ein Township grenzt. Der Besitzer hatte es satt, dass seine Ernte ständig den direkten Weg zum Endverbraucher ohne Umweg über irgendeine Kasse machte.

Wir sehen, wie sich die arbeitende Bevölkerung in Massenwanderungen am Morgen und am Abend von diesen «unautorisierten Siedlungen», wie sie auch genannt werden, zum Stadtzentrum hin und wieder raus bewegt, meist in Sammeltaxis und auf Pickup-Pritschen oder im Frachtraum von Kleintransportern. Diese halten dann auf der Umfahrungsschnellstrasse immer dort an, wo gerade jemand auf kürzestem Weg in dem Hüttenwirrwarr untertauchen kann. Von wie Leuchttürmen aufragenden Strommasten sieht man gewagte Elektroinstallationen sternförmig abtauchen in das von Satellitenschüsseln gekrönte Dächermeer.

Aus der Ferne sehen die Müllhalden vor der Hüttenfront aus wie blumengesäumte Wiesen und tatsächlich tummeln sich auch mal Ziegenherden oder Schweine in den schmalen Grasstreifen zwischen Hütten und Schnellstrassen. Es gäbe Führungen durch diese Heimat von Millionen von Menschen, Interesse wäre da. Doch ich bin mir des Gefälles von meinem «Reichtum» zu der Armut, die in den Townships herrscht, sehr bewusst und bin nicht sicher, ob ich mich angemessen verhalten würde. Zu gross sind meine Bedenken, dass man mir Mitleid oder Ohnmacht ansehen würde. Und das würde den Menschen, die unter diesen Bedingungen aufwachsen und leben schlicht nicht gerecht. Sie sorgen auf ihre Art für ein würdevolles Leben und das ist einfach ganz anders, als ich es mit meinem Lebenshintergrund überhaupt erahnen kann.

Abgesehen davon – ich erlebe erneut eine Art Kulturschock, was mich extrem verunsichert. In Namibia war das Schwarz-Weiss-Thema nur punktuell präsent. Man könnte auch vom Nord-Süd-Gefälle reden, das sich gerade hier in Südafrika sehr deutlich auf das Thema der Hautfarbe konzentriert. Wir spüren hier deutlich, dass sich Farbige von uns distanzieren. Verständlich! Aber ungewohnt. Auf einem Platz in einem Vorort wird uns das Campen verweigert mit der Begründung, wir hätten drei Tage im Voraus reservieren sollen. Der Platz ist nahezu leer. Wir werden an einen anderen Platz verwiesen. Da der Platz von der Gemeinde geführt wird, kommt der Verdacht auf, dass hier Weisse nicht erwünscht sind. Ähnliches über einen südafrikanischen Platz haben wir von einem deutschen Pärchen gehört, nur dass ihnen deutlich gesagt wurde, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht reinkämen. Vielleicht auch zum Schutz vor Übergriffen? Rassismus funktioniert hüben wie drüben gleich: Er basiert auf Vorurteilen und Schubladendenken.

Was mich eigenartig berührt: Unser – notabene – schwarzer Uber-Taxifahrer fragt spontan, als er hört, wie kalt die Winter bei uns sind, wo denn unsere Obdachlosen hingingen, damit sie nicht erfrieren! Die Ärmsten hier findet man tatsächlich nicht in den Townships, sie leben tatsächlich auf der Strasse, unter Pappkartons und Plastiksäcken. Er scheint richtig erleichtert, als wir ihm versichern, dass es in der Schweiz immer einen Schlafplatz gibt für Menschen, die entschieden haben, ein Obdachlosendasein zu leben, was bei uns eben wirklich nicht nötig sei dank des guten Sozialsystems. «Yes, the governement should care about the people» ist dann seine Antwort, worauf Rolf ihm erklärt, dass es dafür eben nicht nur die Regierung sondern auch ganz viel guten Willen von Allen, auch der Wirtschaft und jedes einzelnen Steuerzahlers braucht, damit die vielen Rädchen gut geölt für einen relativen Wohlstand für alle sorgen. Der Taxifahrer nickt – und mir wird klar, dass eine gut funktionierende soziale Wirtschaft tatsächlich auf jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft und dessen Bereitschaft zu solidarischem Handeln zählt. Etwas, das noch in viel zu wenig Ländern dieser Welt umgesetzt ist.

Die Landschaft hier entschädigt uns auf vielfältige Weise für die Unannehmlichkeiten, die uns die umständliche Suche nach einer fähigen Mechanikercrew bereitet. Wir geniessen das satte Grün, die vielen Hektaren mit Weinreben, die kleinen Seen, in denen Wasser gefasst wird. Auch immense Getreidefelder leuchten golden zwischen den sanften Hügeln des fruchtbaren Hinterlandes der West- und Südküste.

Natürlich besuchen wir das Kap der guten Hoffnung, gönnen uns eine Bustour durch Kapstadt und die noblen Vororte rund um das Kap. Immer wieder begegnen uns dabei die freundlichen Gesichter von Nelson Mandela und Desmond Tutu – an Fassaden oder als Statuen. Sie legten zusammen mit de Klerk den Grundstein der neuen Geschichte dieser Regenbogennation. Dass das gute Gelingen mehr 30 Jahre dauern wird, davon war auszugehen. Apartheid findet heute anders statt – es geht nicht mehr um die Hautfarbe, es geht um Superreiche, Reiche und Habenichtse. Und da mischen sich heutzutage die Farben…Auf den Strassen von Kapstadt sehen wir weisse Bettler und schwarze Ferrarifahrer. Wir sehen aber auch, dass noch immer die Weissen eher privilegiert leben und die Townships ausschliesslich «coloured» sind. Gerade auch Kapstadt zeigt auf, dass dieses Land voll Farbe und Licht und Schatten in allen Abstufungen ist.

Endlich finden wir kompetente Unterstützung auf einem Stellplatz am Meer bei Overberg nahe Hermanus. Unsere Nachbarn laden uns zu einem Pokie ein – einem Eintopf, der für Stunden auf dem Feuer vor sich hinköchelt. Es schmeckt sehr lecker, selbst geschossener Springbok mit Gemüse und dazu Reis. Und wir bekommen eine Werkstatt mitten in Kapstadt empfohlen.

Ein paar Tage später dann können wir endlich unser Auto in Empfang nehmen und – tadaaa – die Klimaanlage funktioniert perfekt! Im Moment ist sie zwar nicht sooo wichtig, weil es hier stets windet und die offenen Fenster als Abkühlung perfekt funktionieren. Aber man will sich ja während der Fahrt auch mal unterhalten, nicht wahr. Und bei offenen Fenstern ist das schwierig. Genauso, wie einigermassen frisiert aus dem Auto zu steigen, trotz seit neustem sehr kurzen Haaren. «Coup Windstoss» ist mit der Zeit doch auch unvorteilhaft für die Reisende von Welt.

Worauf wir uns nun freuen, sind Begegnungen mit Freunden, die wir seit Namibia kennen. Marcel und Kim reisen schon länger die Küste rauf und wir planen mit ihnen gemeinsam den Besuch im Addo Elephanten Park, in welchem auch die restlichen Vier der Big Five rumstromern. Und die Feiertage verbringen wir in Kwazulunatal an der Küste des Indischen Ozeans zusammen mit Edda und Helmut, die wir in Uis kennen und schätzen gelernt haben. Eine längere Reisepause ist dort also angesagt, bevor wir weiter Richtung Krüger Park fahren.

Ach ja – da war ja noch Omikron, die neue Corona-Virus-Variante. Derzeit leben wir hier noch ein «normales» Alltagsleben mit Distanz, Maskenpflicht und Desinfektion. Ob es so bleibt und wir von einem Lockdown verschont bleiben, wissen wir nicht. Auch, ob die Reisebeschränkungen in andere Länder von hier aus verschärft werden, ist ungewiss. Wir nehmen es, wie es kommt…und geniessen das Hier und Heute umso mehr!